Unbegründetes Stehenbleiben

Veröffentlicht am 19. Juli 2004 von Roman
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Unbegründetes Stehenbleiben auf Gehsteigen ist laut Straßenverkehrsordnung verboten. Zwar ist in Wien wie in anderen Geld- und Tempostädten das Pomali-Prinzip, der Schlendrian und das Flanieren aus der Mode gekommen, dennoch kann sich kein Mensch vorstellen, wegen 'zwecklosem' Herumstehen im öffentlichen Raum belangt zu werden. Kein Mensch?

Ich steh hier, weil die Schwerkraft mich dazu zwingt. Die Naturgesetze stehen über den Staatsgesetzen, das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Ich steh hier, damit ich nicht blöd herumfahr und die Welt verpeste. Ich steh hier, weil ich darüber nachdenken muss, wie's weitergeht. Ich steh hier, weil's an dieser Stelle einen so geilen Erdmagnetismus gibt. Ich steh hier wegen der guten Aussicht. Ich steh hier, weil's mir zum Liegen zu dreckig ist. Ich steh hier, damit sich niemand anderer herstellt. Ich steh hier, um nicht in ein Hundstrümmerl zu treten. Ich steh hier, um nicht unter die Räder zu kommen. Ich steh hier, weil mein Swimmingpool abgebrannt ist ...

Das ist nur eine kleine Auswahl der Begründungen, die der Wiener Schriftsteller Peter A. Krobath im April des Vorjahres dem Augustin schickte, um auf seine Weise die Augustin-Kampagne gegen die missbräuchliche Verwendung des §78 zu unterstützen. 'Es gibt kein unbegründetes Stehen auf Gehsteigen. Jedes Stehen auf Gehsteigen hat einen Grund und ist daher begründbar', davon ging der Autor aus.

Weil evident wurde, dass der Paragraph, der zuvor allgemein unbekannt war, ausschließlich gegen so genannte Randgruppen, ausschließlich zur 'sozialen Säuberung' dem Konsum geweihter urbaner Zonen angewendet wird, wurde er auch anderen Medien zum Thema. Es schien ein Leichtes, der Öffentlichkeit vermitteln zu können, dass städtische Konflikte, die auf der Sichtbarkeit 'unerwünschter' und 'störender' Gruppen basieren, nicht mit Polizeimethoden zu lösen seien: Die §78-'Delinquenten' drei Tage lang ins Polizeigefängnis zuwerfen, was soll das bringen außer Kosten? Es schien also, die vielen Aktionen des Jahres 2003, die unterschiedlichsten aktivistischen Inszenierungen 'unbegründeten Stehens' hätten zu einem Innehalten der Behörden beigetragen.

Eine Illusion, wie sich inzwischen herausstellte. Zu bequem ist dieses StvO-Werkzeug für die Polizei, von der ja seitens der Politik, der Geschäftswelt und 'anständiger' Mitmenschen tatsächlich ein strenges Vorgehen- gegen vermeintliche Stadtbildstörungen erwartet wird. Bevorzugte Zielgruppe der Verfolgungen unter dem Titel des §78 sind Drogenabhängige, wie die neueren Strafverfügungen zeigen, die uns Betroffene übermittelten. Taktik der Polizei scheint zu sein, durch ständige §78-Exekutierungen der 'Drogenszene den beliebtesten Treffpunkt zu vermiesen, den Karlsplatz - als ob das am Problem der Sucht und am Problem der irregulären Drogenprofite kratzen könnte: Personen dazu bewogen, sich anders zu verhalten, als hätte der Vorfall nicht stattgefunden.

'Obgenannter hat am 24. 3. 2004 um 13:30 Uhr in Wien 1, U-Bahnbauwerk Karlsplatz, Ausgang Resselpark folgende Verhaltensweise gesetzt: Verstellen des Ausgangs im U-Bahnbauwerk Karlsplatz zum Resselpark. Anderen Personen war dadurch am direkten Durchgang durch die Passage gehindert bzw. gezwungen auszuweichen. Es wurden daher Personen dazu bewogen, sich anders zu verhalten, als hätte der Vorfall nicht stattgefunden... Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt: Geldstrafe von €70; falls diese uneinbringlich ist. Ersatzfreiheitsstrafe von 70 Stunden.'

Der Vergleich mit anderen Schriftstücken zeigt, dass die Polizei schablonenhafte Standardformulierungen verwendet. Dass ein einzelner Mensch eine breite Passage 'verstellen' kann, könnte der Empfänger zitierter Strafverfügung (Polizeikommissariat Innere, Stadt, Aktenzahl S49547/S/04) nicht phantasieren und erhob Einspruch: Und dass Personen immerwährend und alltäglich Situationen vorfinden, die sie dazu bewegen, sich anders zu verhalten, als hätte es die Situation nicht gegeben, ist eine ungewollt treffende Definition urbanen Lebens im öffentlichen Raum. Ein karikatureskes Bild drängt sich auf: Polizeigefängnisse voller Autofahrer, die ihre Besitztümer so parkten, dass sich Fußgänger anders verhalten mussten, als ohne parkendes Auto vor sich.

Interessant an, einer dem Augustin ebenfalls vorliegenden Anzeige wegen §78 StvO sind angeführte Regelverletzungen, die absolut nichts mit Straßenverkehr zutun haben. Es sei 'bekannt, dass sich die Süchtigen mit Waffen bzw. waffenähnlichen Gegenständen, aller Art aufrüsten...' Eine Angelegenheit des Waffengesetzes und nicht der Straßenverkehrsordnung! 'Der Angezeigte war aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes der Suchtgiftszene zuzuordnen': ist das für den Straßenverkehr und dessen Ordnung relevant? Auffallend ist, dass in der umfangreichen Sachverhaltsdarstellung nur ein einziger, der letzte Satz, StvO-relevant ist: 'Weiters hat der Angezeigte, Personen am direkten Vorbeigehen behindert.'

Auch juridischen Laien dürfte geläufig sein, dass es nicht im Sinn des Erfinders war, die Straßenverkehrsordnung dafür zu missbrauchen, drogenabhängige Menschen in den Teufelskreislauf zwischen Gefängniszelle und prekärem Junkie-Treffpunkt zu führen. Dem zu entkommen wird immer schwerer. Die Politik spart bei der Drogentherapie und verwirklicht ein Gefängnisausbauprogramm: unbegründetes Stehenbleiben bei zum Scheitern verurteilten Konzepten. (Quelle: Augustin, Robert Sommer)

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